Poetin    Maria    Schiffner

Zeitkritisches






 

Das Wurzelmännchen


So manches liebe Mal hat der Förster Rothart schon bei den Uralten, dicken, vom Sturm zerzausten Eiche gestanden und gesagt: "Die muss aber jetzt endlich weg." Aben will er das Zeichen zum Fällen anbringen, da sieht er unter einer Wurzel etwas krabbeln und als er genauer hinschaut, bemerkt er ein winziges Männchen, nicht grösser als eine Hand. Einen grauen Kittel hat es an, eine Zwergen-kappe, einen grauen Bart und sieht unendlich traurig aus. Nun fängt es zu sprechen an: "Förster Rothard, Du willst doch nicht unsere Eiche fällen lassen?" Dem Förster ist ganz wunderlich zu Mute und er sagt: "Wer bist du denn, Männlein? Du musst es doch einsehen, dass der Baum endlich weg muss." "Ich bin ein Wurzelmännchen und wir alle bitten dich sehr, unseren Baum weiter zu scho-nen. Du wirst es auch sicher tun, wenn du hörst, was es mit der Eiche auf sich hat. Ihre Wurzeln be-hüten unsere Werkstatt, das ist, was die Menschen heute ein Labor nennen. Nichts im Walde, ja auf der ganzen Welt, ist so wichtig. Wir brauen da untern die Lebenssäfte für alles, was aus der Erde wächst, vom kleinsten Pflänzchen bis zum grössten Baum. Die alte Eiche beschützt uns vor allen Ge-fahren." Da staunte der Förster freillich. Das Männchen redete weiter: "Wir brauen aber auch noch andere wunderliche Mittel. Wenn due unseren Baum beschützt, sollst du eine Probe haben. Es ist ein Trank dabei, von dem drei Tropfen genügen, dass ein Mensch die Sprache aller Tiere verstehen kann." Jetzt horchte der Förster auf, wie oft hatter er sich das schon gewünscht. "Ihr würdet mir diese drei Tropfen geben?" "Ja, in der nächsten Vollmondnacht, wenn sie bis dahin fertig sind." "Gut", sagte der Förster, "ich komme."

Hoffentlich hält sich ds Wetter und bleibt so klar, dachte der Förster, als der Vollmond aufging, sonst ist der Weg im Walde zu schwer zu finden. Es war ein weiter Weg bis zu der alten Eiche und Mitter-nacht nahe, als er endlich dort ankam.

Die Wurzelmännchen hatten under der Eiche schon einen Kreis gebildet und eines hielt ein winziges Schälchen, so gross wie eine halbe Haselnuss, in der kleine Hand: "Knie nieder, Menschenkind", sagte es, "beuge dich herab!" Dann sprachen die Männlein feierlich:

"Dies ist Lebenselexier,
Sein Genuss gestattet dir
Zu verstehen jedes Tier"

Dann goss das Männchen, das zuerst gesprochen hatte drei Tropfen des Saftes in den Mund des Försters. Er sagte: "Ich verspreche euch, den Baum unter meinen Schutz zu nehmen und euch immer beizustehen." Ds Männlein antwortete. "Ja, wir wollen einander immer helfen" und plötzlich waren die Männlein alle verschwunden. Dem Förster kam es vor, als ob er geträumt hätte und er dachte: "Es gibt doch wunderbare Dinge in meinem Walde."

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