Poetin    Maria    Schiffner

Zeitkritisches




 

Die Nebelfrauen


Zwischen den grossen Wäldern liegen im Hohen Venn noch weite Strecken Moorland. Vor sehr, sehr langer Zeit waren dort auch Bäume gewachsen und sind abgestorben, immer wieder aufs neue. Nach und nach ist dann eine meterdicke Schicht entstanden, in der das Regenwasser stehen blieb, weil darunter undurchlässige Erdschichten liegen.

So entstanden die Moore, die die Heimat der Nebelfrauen wurden, und wo es gar Teiche gibt von Wassernixen. In der Nacht gehen dort auch Irrlichter um. Es ist ihr Reich und sie lieben keine frem-den Eindringlinge, besonders die Menschen nicht, die solche Moore trockenlegen, um sie für sich sel-ber nutzbar zu machen. Manche Stellen im Moor sind so tief, dass ein Mensch vollkommen versinkt und ertrinken muss. Gefährlich ist das Moor für alle Menschen, die es nicht kennen. Es wandert einer über die Höhen des Venns, da zieht es heran mit wehenden Schleiern, die sich immer dichter ballen und bald alles einhüllen, so dass man den schmalen Weg nicht mehr sehen kann. Ganz dinkel ist es geworden, er tappt dahin, plötzlich tritt der Fuss ins Weiche und schon ist er mitten drin im Moor. Solche Moore gehören auch zum Revier vom Förster Rothard.

An einem Herbsttag wollte er sich mit einem andern Förster aus der Umgebung treffen, um über neue Bäumchen zu sprechen, die er in seinem Walde anpflanzen wollte und nebenher dachte er sich einmal in dem weit entfernten Zipfel umzuschauen.

Als er etwa eine Stunde über Stock und Stein gewandert war, stieg leichter Dunst aus dem Gras, der bald höher als zu den Wipfeln der kleinen Bäume stieg und da erkannte er, dass die Nebelfrau-en am Werke waren. Er dachte: "Die dummen Frauenzimmer, da sind sie an den Falschen geraten! Es müssen wohl noch Lehrlinge sein, weil sie nicht wissen, dass ich der Förster bin." Er kannte ja alle Wege ganz genau. Immer dichter wurde der Nebel, aber er pfiff nur vor sich hin, ging aber et-was vorsichtiger weiter. So kam er nur ganz langsam vorwärts und hatte schon Angst, dass er zu spät zu Treffplatz kommen würde. Plötzlich sah er hinter einem Bäumchen zwischen dichten Schlei-ern etwas, wie ein verschwommenes Gesicht und rief: "Du da, kennst du mich denn nicht? Ich bin doch der Förster, mach dich davon." Da ging ein leises Lüftchen, der Nebel fing an zu wallen und bei der nächsten Wegbiegung stand der Förster plötzlich mitten im Sonnenschein. Er schaute sich um und hinter ihm stand es grau in grau wie eine Wand. "Schönen Dank, Nebelfrau", rief er und fing an kräftig auszuschreiten, dass er noch halbwegs rechtzeitig beim Treffpunkt ankam, wo der andere Förster schon eine Weile gewartet hatte. Der sagte: "Ich hatte schon Sorge, dass Sie sich verirren würden, als ich die Nebelwand aufsteigen sah." Förster Rothard sagte: "Ach, sie kenne mich ja, meine Nebelfrauen, mir tun sie nichts."


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